Texte
aus dem Kurs
Barbara
Schirmacher, Hamburg, zur Wächterfigur in der Hundertwasserschule
WÄCHTERIN
ICH
BIN EUCH FREMD, ICH BIN EUCH GUT.
So
eine wie ich kommt von weit.
Aus dem Meer,
Perlmuttgewand an den Leib gegossen.
Aus dem Garten,
thronend auf einem bestimmten Baum,
die Schlange andeutungsweise in den gedrechselten Windungen.
Aus der Familie der Wächter,
unhörbares Rauschen der Schwingen an Sarkophagen
auf sonnengesprengten Steinreliefs
weiße Blüten wie Lilien und Lotus.
Meine Herkunft uralt.
Seit Menschen gedenken
der Fragen nach Leben und Tod.
Meine Gestalt weich und jung wie die meisten von euch.
ICH
BIN EUCH FREMD, ICH BIN EUCH GUT.
Vom
Rand eures Schulflurs
sehe ich euch
zu euren Lernräumen rennen, hüpfen, schlurfen, schleichen.
Manchmal könnt ihr euch und die Bücher kaum schleppen.
Ich merke euren Kummer. Eure Angst.
Eure Freude. Euren Übermut.
Ich verrate euch niemals.
Es ist mein Amt, euch zu erinnern:
Ihr werdet gesehen
von freundlichen Augen.
Aus
meinen Schwingen strömt,
auch wenn ihr zu schnell seid, das zu bemerken,
eine feine widerstandsfähige Kraft, die euch leben hilft.
Ich
bekam Antwort von euch,
Lebenszeichen, aus Speckstein geschnitten.
Dafür danke ich euch.
Wenn
es still wird im Schulhaus,
beginnt es im Turban blaugold zu tönen,
euer Lachen, euer Rufen,
die lauten und die leisen Wörter des Tages
und keins geht verloren.
ICH BIN EUCH FREMD, ICH BIN EUCH GUT.
ICH BIN
EURE WÄCHTERIN.
Barbara
Schirmacher, Hamburg
Sonniger
Tag an der Elbe
Glocken
rufen in Wittenberg
zum Gottesdienst
nicht zur Jagd
auf Juden Bauern Frauen
gleich Hexen
aufseufzend atme ich breit mit dem Fluss
Kuckuck ruft ans andere Ufer
ich folge ihm gern und spiele den Singsang
O Gott gib uns Frieden doch wie
ein Milan stößt zu
drei Jungen laden knallbunte Gewehre
mit Elbwasser
schieben den Krieg gegen alle noch auf
weiß ziehen Wolken durch
einen Kindereimer der blau
ohne Boden im Schilf hängt.
Ines
Koch, Borna
Käferziele
Kleiner
Käfer knallt an meine Wange.
Strauchelt,
landet schließlich auf meinem Arm.
Ist
aus der Bahn geworfen und verirrt.
Hat Angst,
streckt seine langen Fühler suchend aus.
Sucht
nach dem eigentlichen Ziel,
verdeckt vom Hindernis.
Sucht und sucht und sucht. Genau wie ich.
Ines
Koch, Borna
Fragen
Katharina
von Bora war eine starke Frau. Ich höre mir an, was von ihrem Leben
überliefert ist.
Bewundere sie und frage mich:
Wovor wird sie sich am meisten gefürchtet haben?
Was war der schönste Tag in ihrem Leben?
Hatte sie eine Lieblingsspeise?
Was hat sie glücklich gemacht?
Sang sie ihre Kinder in den Schlaf?
Was machte sie wütend?
War ihre Lieblingsfarbe hellblau?
Liebte sie alle ihre Kinder gleichermaßen?
Sehnte sie sich danach, mehr Zeit für sich zu haben?
Wenn nicht, wonach sehnte sie sich dann?
Stellte sie sich überhaupt derlei Fragen?
Ines Koch, Borna
Aus
dem Rahmen fallen
Gleich
bei unserer ersten Begegnung spürte ich ein seltsames Gefühl
der Faszination und Verbundenheit zu ihr. Aber wie das mit Berühmtheiten
so ist: es nicht ganz einfach mit ihnen allein zu sein. Die Frau, die
aus dem Rahmen fällt, macht in diesem Punkt leider keine Ausnahme,
fällt hier gerade nicht aus dem Rahmen.
Ich musste mich eines Tricks bedienen, um ungestört mit ihr plaudern
zu können. Vor dem Besucherstrom flüchtend, habe ich mir einen
Platz auf der Ballestrade gesucht, genau gegenüber von Herrn Käthe,
wie sie von ihrem Mann auch genannt wurde.
Ich schaue über die Brüstung und von hier oben sieht es fast
aus, als wolle sie mir folgen. Es ist ein resoluter Schritt, der in
der Bronzefigur festgehalten wurde. Ihre Gesichtszüge kann ich
von meinem Platz nur verschwommen wahrnehmen. Auch hier behelfe ich
mir mit einem Trick. Ich habe sie einfach in meine Nische der Stille
mitgenommen. Auf einer Postkarte. Ganz gleich, wohin ich die Karte lege,
ihr gütiger Blick scheint mir zu folgen. Ein Blick, der ein warmherziges
Gefühl in mir auslöst: schwesterliche Verbundenheit? Weibliche
Solidarität? Seelenverwandtschaft?
Vielleicht ist es einfach nur Bewunderung und der Wunsch, ein Stück
ihres Mutes zu
Christel
Sdrzoda
Kleine
Reise
Für
kurze Zeit fortgegangen aus dem Vertrauten
Bilder mitgenommen und durchscheinend
das Neue darüber gelegt
so vieles schon gesehen
und immer wieder neu gemischte Farben,
die ich sammle
für die Zeit nach den Reisen.
Wittenberg
Im
alten Hof am Fließbrunnen
Kopfsteine, schiefe Dächer und alte Mauern,
geborgen im grünen Auge hinter dem Tor,
gedenk ich der mutigen Magister der Lutherzeit,
die aufbegehrten in dieser Stadt,
als Aufbegehren lebensgefährlich war.
Wie
es noch immer und überall gefährlich ist,
anders zu sein.
Doch
der Glaube an den freien Willen
des Menschen, den sie uns gaben,
versiegt so wenig wie die Röhrenbrunnen,
die hier fließen seit Luthers Zeit.
Mahnmal an der Stadtkirche
Eine
kleine Libanonzeder
neben dem hohen Chor der Kirche zu Wittenberg.
Weit oben an der Mauer eine Judensau,
bildgewordener Bürgerhohn gegen das Fremde.
Unter
der Zeder am Boden
quillt aus vier Bronzeplatten
die blutige Untat,
die zu begehen sich erst
mein Jahrhundert bereit fand.
Pause
Hinabgesunken
die starken Bilder der Stadt
blaue Türme, Kirchentüren und edle Portale.
Am
Fluss sitzen im Sommerwind
der die Schilfblüten beugt
wo der Kuckuck schon rief aus dem Bruch
als die Hexen verbrannten
und die Heugabeln mordeten
wo die Elbe gleichmütig Menschenwerk
und Naturgewalt zur Mündung trägt
und ans sandige Ufer.
Hören,
wie Kinder fröhlich einander erschießen
mit großen Wasserkanonen,
das alte Spiel!
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